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Mit dem Baby nach Wladivostok (2006)
8. Reisebericht - Reise in die Einsamkeit

(10. Juli 2006)

 

Natalia bringt uns zum Bahnhof. Uns steht die abenteuerlichste Fahrt mit dem Zug Nr. 964 bevor, hinaus in die Wildnis, ohne Strom und mit Dörfern, in denen es ein Ereignis ist, wenn der Zug ankommt! Der Vater von Natalia kommt sogar extra zum Bahnhof und steigt zu uns in den Zug, um uns zu verabschieden! Der Zug macht von aussen einen furchterregenden Eindruck - vor allem unser Waggon ist sehr schmutzig und hat nur weisse Tücher als Vorhänge. Wir fragen uns, ob das wirklich der 2. Klasse Wagen ist, oder ob man uns etwas falsches reserviert hat. Doch es ist schon richtig, es ist einfach ein alter Wagen. Das Abteil ist lustig, es hat braune Lederbänke, ist alt aber gut intakt und viel geräumiger und bequemer als die neuen Züge. Die Leute im Zug können sich kaum erholen, dass Schweizer mit einem Baby mit ihnen fahren. Es gibt auch noch eine andere Familie mit einem Mädchen, dass nur wenig älter ist als Anja. Die beiden wollen nun die ganze Zeit miteinander spielen, und sobald das Mädchen verschwindet, beginnt Anja zu weinen! So verbringen wir die halbe Zeit zusammen im Gang, wo sie einander Spielsachen zeigen...

Der Zug muss ständig wieder bei einer Ausweichstelle anhalten, um einen anderen vorbeizulassen. Die Landschaft ist nicht sehr abwechslungsreich.

 

Die Fahrt verläuft in mehrheitlich flachem Gelände, es gibt viel Wälder, der Boden ist mit schönen weissen Blumen bedeckt. Ab und zu kommen wir an einen ganz kleinen Bahnhof, an dem tatsächlich eine Stationsvorsteherin dem Zug grünes Licht zum Weiterfahren erteilen muss! Hunderte Kilometer von der nächst grösseren Ortschaft entfernt, ganz alleine in der Taiga!

 

Am Morgen um 8 Uhr kommt der Zug in Komsomolsk-na-Amure an. Der Transfer klappt bestens und Vladimir holt und mit einem modernen Minibus vom Bahnhof ab. Die Stadt war lange Jahre für Ausländer und auch aussenstehenden Sowjetbürger gesperrt. Es war eine reine Militärstadt, welche das grösste Flugzeugwerk des Landes beherbergt. Hier wurden fast 3000 Stück der legendären IL-2 Shturmoovik Zweisitzer Bodenangriff-Leichtbomber gebaut. Ab 1949 begann die Produktion von Mig-15 Jetflugzeugen, 1981 rollten SU-27 Kampfjets vom Stapel. Auch heute noch produziert die Gagarin Aircraft Factory Flugzeuge sowie Produkte für den zivilen Markt.

 

Wir sind über die schönen Häuser ganz überrascht. Die Stadt hat ein Flair wie im Evita-Film, wo es die grossen Herrschaftshäuser gibt. Nur dass deren Glanz erloschen ist und die Fassaden bröckeln. Doch es freut uns zu sehen, dass man nach und nach eines ums andere renoviert.

 

In Komsomolsk wohnen wir wieder mal im obersten Stockwerk eines Hauses ohne Lift! Andi ist inzwischen gewohnt, zweimal mit dem ganzen Gepäck hinaufzulaufen und wundert sich schon gar nicht mehr, warum wir nicht auch mal im 1. oder 2. Stock wohnen können... Unsere Gastwirtin heisst Erika und sie bewohnt mit ihrem Vater eine sehr schöne, geräumige Altbauwohnung mitten im Stadtzentrum. Wir bekommen ein riesiges Zimmer ganz für uns alleine und ein Willkommensfrühstück.

 

Nach einer kleinen Ruhepause machen wir uns auf, um das Regionalmuseum zu besuchen. Es ist interessant, aber bei weitem nicht so spektakulär, wie das im Reiseführer beschrieben steht. Man sieht die Geschichte der Stadt vom Beginn bis heute, die Produkte, welche hier hergestellt werden, usw. Danach versuchen wir lange vergeblich, das Militärmuseum zu finden, welches sich gem. Reiseführer gleich daneben befinden soll. Wie sich später herausstellt, war auch das wieder eine Fehlinformation unseres Buches und das Museum hat es mindestens in den letzten 10 Jahren nie gegeben!

 

Ein paar Meter weiter erreichen wir nun zu Fuss den Amur. Das offizielle Ende der BAM - der Bahn, welche den Baikalsee mit dem Amur verbindet. Wir haben es geschafft und sind mit Anja im Fernen Osten angekommen! Ein gutes Gefühl, hatte ich doch in Novosibirsk noch ans Umkehren gedacht. Nun hatten wir uns schon sehr gut eingelebt und es auch mit dem Baby so gut im Griff, dass wir ohne weiteres noch lange weiterreisen könnten. Wir kannten wieder die wichtigsten Wörter und Begriffe auf russisch, konnten alles lesen, wussten, wie viel man einem Taxifahrer zur heutigen Zeit bezahlen soll und was nicht, und so weiter. Und nun waren wir am Amur, dem riesigen Strom, der auf einer Länge von 2000 Kilometern die Grenze zu China bildet und mit seiner gesamten Länge von 2824 Kilometern einer der mächtigsten Flüsse Sibiriens ist. Die Ökoregion am Amur gehört zu den unberührtesten Gegenden der Erde und hier lebt auch noch der Amur-Tiger, von dem es nur noch wenige Tiere gibt.