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Winterreise Sibirien (2004)
1. Reisbericht 5.–7.März 2004

Der Winterzauber beginnt...

 

Tatsächlich war heute der Tag gekommen, an dem wir nach Russland zurückkehren würden. Ich konnte es mir in der letzten Zeit gar nicht mehr richtig vorstellen. Hatte ich mich schon monatelang auf diesen Tag wie verrückt gefreut, überrollten mich zuletzt die vielen offenen Pendenzen, die es noch zu erledigen galt.

 

Ein wenig in der Freude getrübt hat mich auch die Tatsache, feststellen zu müssen, dass nicht alle unsere russischen Bekannte wahre Freunde sind. Obwohl ein grosser Teil der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt und teilweise mit einer Rente von monatlich 40 Euro auskommen muss, haben einige den Übergang von arm zu reich nicht richtig verstanden oder verkraftet. Kaum haben sie das grosse Geld gesehen, sind sie nicht mehr zu halten und wollen immer mehr und mehr, koste es, was es wolle. Mit der Mittelschicht wollen sie sich schon gar nicht mehr abgeben. So passierte es, dass unser „Freund“ Sascha sich nur solange auf unseren Besuch freute, wie er uns seine Reiseangebote verkaufen konnte. Als wir dann bekanntgaben, ihn lediglich besuchen zu wollen und auf eigene Faust herumzureisen, war er nicht mehr länger an uns interessiert!

 

Dasselbe passiert in Moskau regelmässig. Ein Bekannter von uns wollte einer alten Frau helfen, die von ihrer Rente den Lebensunterhalt kaum bestreiten kann. So schickte er Gäste zu ihr, die für 25 € übernachten konnten. Doch kaum hatte sie die ersten Gäste bewirtet, erhöhte sie den Preis so masslos, dass Pascha sie von der Liste streichen musste.

 

Was uns auch noch auffiel bei den Vorbereitungen, sind die unterschiedlichen Dienstleistungen. So versuchten wir tagelang einen gemäss Fahrplan aufgeführten Zug von Irktusk nach Moskau zu buchen und bekamen von unserer Agentur immer nur die Antwort, es sei alles ausgebucht, was wir einfach nicht glauben konnten, lag doch der Abfahrtstermin noch in weiter Ferne und ebenso die Hauptreisezeit. Als man uns dann noch sagte, auch in der ersten Klasse gäbe es keine Plätze mehr, wurden wir stutzig und erkundigten uns woanders. Und siehe da, mit nur einer einzigen Anfrage bekamen wir die einleuchtende Antwort: nicht die Plätze sind ausgebucht, sondern dieser Zug fährt überhaupt nicht an diesem Datum! Da fragt man sich dann, warum man einem das nicht gleich sagen kann! Aber auch das ist Russland: man muss stets die richtigen Fragen stellen, wenn man auch die richtige Antwort erhalten will!

 

Auf jeden Fall kam es dann doch tatsächlich soweit, dass wir mit all unserem Gepäck morgens um 6.30 Uhr das Haus verliessen und zum Flughafen Zürich-Kloten fuhren. Dort erwartete uns zuallererst ein riesiger Menschenandrang am Check-in Schalter und dann ein freundlicher Herr, der uns darauf aufmerksam machte, nicht mehr allzu viele Souvenirs einzukaufen, da das Gepäck, das wir aufgaben, schon 43 Kilogramm wog! Dass davon wohl 15 Kilogramm Geschenke sind, erzählten wir ihm aber nicht mehr.

 

Unser Flugzeug startete vom Gate E, das sich im Moment noch als Provisorium präsentiert und erst im September 2004 komplett eröffnet wird. Trotzdem staunten wir nicht schlecht über die moderne Untergrundbahn, welche im 3minuten-Takt die Passagiere befördert. Mit dem Sicherheitscheck hat das Gate aber noch seine lieben Probleme, um nicht gleich zu sagen, dass er vollkommen übertrieben ist. Nebst der Durchleuchtung des Gepäcks und der Passagiere müssen diese sogar noch die Schuhe ausziehen und inspizieren lassen! Und dies, obwohl aus dem Lautsprecher schon eindringlich die Meldung zum sofortigen Einsteigen ertönt! Völlig geschafft erreichen wir das Flugzeug, sind aber noch nicht die letzten und müssen noch länger warten, bis alle Passagiere da sind. Insgesamt startet der Flieger mit 40minütiger Verspätung zu seinem rund drei Stunden dauernden Flug.

 

Da wir mit der Swiss fliegen, landen wir auf dem neueren Domodedovo Airport 39 Kilometer ausserhalb von Moskau. Das Bild, das sich uns schon vom Flugzeug aus bietet, ist einfach völlig faszinierend. Da stehen unzählige mittelgrosse Flugzeuge aus Sibirien und anderen Gegenden in und um Russland einfach so mitten im Schnee. Der Wind fegt die Eiskristalle über die Landebahn, links und rechts wird gebaut und der Himmel leuchtet knallblau. Nach einer ein wenig holperigen Landung stehen wir inner kürzester Zeit bereits am Zoll, an dem die Personalien kontrolliert werden. Problemlos geht es weiter und sogar das Gepäck ist schon ausgeladen, alles innert weniger Minuten! Nur unsere Devisendeklaration will der Zöllner energisch nicht abstempeln – mit den neuen Bestimmungen dürfe man bis 10'000 USD ohne Deklaration einführen. Wir werden nun halt als Versuchskaninchen herhalten, viel Geld haben wir für drei Wochen sowieso nicht dabei und das meiste schon von zuhause aus bezahlt.

 

Gleich hinter der Gepäckkontrolle erwartet uns eine junge Frau und entschuldigt sich, dass sie kein Englisch spreche. Sofort verlassen wir den kleinen Flughafen und ein eisiger Wind begrüsst uns, als wir die erste russische Winterluft einatmen. Zum Glück haben wir unsere dicken Jacken bereits angezogen und sind froh um die pelzigen Kapuzen, die unser Gesicht von der Kälte und den Eispartikeln schützen, die wie kleine Pfeile durch die Luft fliegen. Anstelle unserer ziehbaren Reisetaschen hätten wir wohl besser eine Konstruktion mit Kuven gebastelt, denn der Parkplatz war ein ganzes Stück vom Flughafen entfernt und die Rädchen konnten sich in dem Schnee kaum drehen. Ganze Scharen von Russen mit dicken Pelzhüten und Jacken begegneten uns schon auf dem Flughafengelände. Witzig waren auch die Zoll- und Polizeibeamten in Winteruniform, die noch wie im Bilderbuch aus der Sowjetzeit aussahen. Das Auto war natürlich ein alter Lada, der aber einen grossen Kofferraum hatte, wo unser Gepäck reinpasste. Die Autobahn nach Moskau war schneefrei, links und rechts von endlosen Birkenwäldern, aber auch Datschenvierteln umgeben, und hatten wir gestern noch mit grossen Augen einen Film über diese Gegend gesehen, befanden wir uns nun selber mittendrin und konnten es kaum glauben. Das ist ein wenig der Nachteil am Fliegen, man ist innert kürzester Zeit in einer total anderen Welt. Sind wir uns doch noch ein wenig an die Langsamkeit des Reisens mit unserem VW-Büssli gewohnt, wo man ganz allmählich die Heimat verlässt und sich auf das Reiseziel langsam einstellen kann, wird man aus dem Flugzeug katapultiert und muss nun sofort mit der neuen Welt umgehen können. Da diese neue Welt Russland ist, hatten wir damit weiter keine Probleme, ausser einem etwas gemischten Gefühl im Bauch, das aus grosser Freude, aber auch Spannung und Neugierde bestand, was uns wohl dieses Mal hier erwarten wird.

 

Nach etwa 40 Minuten erreichten wir unser Hotel Asia, das sich am Stadtrand von Moskau in einem lebhaften Viertel befindet und bei Travellern aufgrund des günstigen Preises beliebt ist. Im 15. Stock gibt es auch eine Jugendherberge mit Mehrbettzimmern, wir ziehen aber in ein Doppelzimmer, das zwar günstig, aber auch sehr alt und verbraucht ist. Nichts wirklich schönes, aber interessant aus dem Grund, da es mitten in einem richtigen Wohnviertel liegt und direkt vor der Tür der Markt mit unzähligen Ständen beginnt, wo man so nach Herzenslust einkaufen und sich verpflegen kann.

 

Dazu muss man aber zuerst einmal über ein paar Rubel verfügen, die man ausserhalb Russlands nicht bekommt und direkt im Land gewechselt werden müssen. Die Bank zu finden war gar nicht mal so einfach und ich war mehr als nur stolz, mit meinen ersten paar Brocken russisch mit tatsächlich soweit durchfragen zu können, dass wir eine brauchbare Wegbeschreibung bekamen! Ich hätte nicht gedacht, dass man mit sowenigen Wörtern schon soviel erreichen kann. Es gefällt mir nun immer besser.

 

Doch die lange Menschenschlange vor der Bank sah nicht gerade vielversprechend aus. So muss es früher auch vor Bäckereien oder Lebensmittelläden ausgesehen haben, wo die Leute stundenlang auf Esswaren warteten und nicht sicher waren, dass sie etwas bekamen. Die Bank hatte zum Glück bis 20 Uhr geöffnet, wieder ein Pluspunkt für die Metropole und auch nötig, da die Leute tagsüber arbeiten und keine Zeit haben, zur Bank zu gehen. Heute wurden wohl auch die Renten und Kredite ausbezahlt, wie wir von den wartenden Leuten erfahren konnten. Während wir warteten, machte die Kasse plötzlich wieder zu, wahrscheinlich war nicht genug Geld da, um alle Kunden auszubezahlen. Nach einer geschlagenen Stunde verfügten auch wir über genügend Rubli, um die nächsten Tage zu überstehen. Obwohl auf der Exchange-Tafel gross der CHF-Kurs angegeben war, musste ich der Dame zuerst erklären, dass meine Hunderternoten echtes Schweizergeld seien. Sie hatte so was noch nie gesehen, glaubte mir aber gottseidank und bezahlte mich aus.

 

Endlich konnten wir auch etwas zu essen kaufen und steuerten geradewegs auf eine russische Imbissbude zu, wo auch die Einheimischen wieder einmal Schlange standen. Kein Wunder, denn das Angebot war weit und breit das beste, Schaschlik Spiesse in ein Fladenbrot gewickelt und mit Gemüse und Sauce garniert für umgerechnet 2 CHF! Wir deckten uns damit ein und probierten auch noch ein Gebäck, in welches Hackfleisch gefüllt war und waren danach mehr als satt und sehr zufrieden über den guten Start unserer Reise!

 

Da war nebst anderen Aufregungen auch noch der Schock wegen dem Attentat auf die Moskauer Metro, das knapp drei Wochen her ist. Am 14. März sind Präsidentschaftswahlen und wir mussten einsehen, dass es wohl nicht wirklich der beste Zeitpunkt ist, jetzt nach Moskau zu reisen.

 

Um von unserem Hotel in die Stadt zu kommen, bleibt einem aber gar nicht viel anderes übrig, als mit der Metro zu fahren. Alle 3 Minuten fährt auf jeder der elf Linien ein Zug, also ist die Chance, dass genau in unserem etwas passiert, wieder relativ gering. Die Metro ist das beliebteste Nahverkehrsmittel der Moskauer und wird auch nach dem Anschlag uneingeschränkt benutzt. Was sollte man auch anderes machen? Den Leuten merkt man so direkt nichts an. Lediglich mehr Sicherheitskräfte sind vor Ort und kontrollieren auffällige Personen oder solche, die ein kaukasisches Äusseres aufweisen. Moskau ist sowieso eher eine sichere Stadt mit sehr viel Polizeipräsenz, so dass man sich mindestens an den gut frequentierten Strassen und Plätzen nicht zu fürchten braucht.

 

So besuchen wir also am Samstag morgen den Roten Platz. Vor dem Mittag geht in Moskau eigentlich nicht sehr viel. Alles wirkt verschlafen, die Souvenirverkäufer bauen erst kurz vor zwölf Uhr ihre Stände mit Matrjoschkas und holzgeschnitzten Nachbildungen der Basiluskathedrale auf. Auch im GUM, dem riesigen staatlichen Kaufhaus, wirkt noch alles verschlafen. Ich entscheide mich, alleine das Leninmausoleum zu besuchen, damit Andi auf Rucksack und Kameras aufpassen kann, die man nicht mitnehmen darf. Hier sind die Sicherheitsvorkehrungen fast schon peinlich, nachdem ich zuerst ausführlich durchsucht werde, muss ich nachher noch viermal meine Jacke öffnen, um sicherzustellen, dass da nicht etwas verbotenes drunter verborgen ist. Zugegeben, die Daunenjacke ist wirklich übertrieben dick, und ich musste damit rechnen, in der Stadt aufzufallen. Auf jeden Fall schloss ich mich einer russischen Kleingruppe an und stieg mit ihnen in die Gruft hinunter. Der letzte Militärbeamte hielt uns an, leise zu sein, denn jetzt ging es zu Lenin ins Grab. Stockdunkel war es rundherum, nur sein Leichnam wird von einem diffusen Licht beleuchtet und liegt da wie wenn er nur so eben schlafen würde. Ein komisches Gefühl, diesen berühmt-berüchtigten Mann hier so liegen zu sehen. Doch lange blieb nicht Zeit, um nachzudenken, denn man darf bei ihm nicht stehen bleiben, sondern wird langsam wieder aus der Gruft hinausgeführt.

 

Dann geht es noch zum Friedhof an der Kremlmauer, wo die berühmtesten Männer Russlands, aber teilweise auch Ausländer, ihre letzte Ruhe fanden. Da liegt zum Beispiel Breschnev begraben, aber auch Gagarin und Stalin. Was mich verwunderte, war dass auf Stalins Grab am meisten Blumen lagen und sogar ein Kranz sein Grab zierte, obwohl er den Menschen soviel Leid zugefügt hat. Aber eben, Russland ist nicht immer ganz einfach zu verstehen!

 

Später beginnt es wie verrückt zu schneien. Wir schlendern noch ein wenig ziellos umher, bis zur Erlöserkathedrale, deren goldene Dächer selbst bei düsterstem Wetter erstrahlen. Da wir nun nicht wie geplant zu Auntje Tanja gehen, blieb uns der Nachmittag frei und wir entschieden uns, das Messegelände zu besuchen. Kaum hatte Andi gesagt, er wundere sich, dass wir inmitten dieser 10 Millionen Stadt nicht mehr Menschen sehen, wurden wir am Prospekt Mira von ihnen förmlich überrannt. Hatten wir uns noch gefragt, ob wohl bei diesem schlechten Wetter die Leute zum Beispiel wirklich in den Gorki Park zum Schlittschuhlaufen gehen, bekamen wir hier beim Messegelände die Antwort: sie tun es! Hier befinden sich neben unzähligen Einkaufsständen, an denen von Telefonkarten über Zigaretten bis zu Pelzmützen alles angeboten wird, auch ein Vergnügungspark und die ganze Anlage zieht sich kilometerweit hin. Jetzt wussten wir, wieso das Stadtzentrum fast menschenleer war, denn bei dem Schneegestöber hatten wohl alle die gleiche Idee und schlenderten durch die weitläufige Anlage, besuchten die verschiedenen Ausstellungshallen, assen Schaschlik und andere Spiesse an den vielen im freien aufgestellten Ständen, oder genossen ein mehrgängiges Menü in einem der kleinen Restaurant, die sich am Wegesrand entlang ziehen.

 

Wir steuerten zuerst einmal das Kosmonautenmuseum an. Hier sind Relikte aus der Russischen Raumfahrtsgeschichte in hübscher Manie ausgestellt. Besonders skurril sind die beiden ausgestopften Hunde Strelka und Belka. Sie waren die Helden der aufstrebenden Sowjetunion und als erste Hunde im Weltall. Natürlich darf auch Gagarin nicht fehlen: ihm ist eine überdimensionale Bronzenstatue gewidmet, die inmitten von Satelliten, Raumfahrzeugen und anderen Utensilien ausgestellt ist.

 

Im eher kleinen Museum konnten wir uns wieder etwas aufwärmen, bevor wir weiter durch das Gelände spazierten. Die Gebäude, aus denen das Messegelände besteht, sind architektonische Meisterwerke. Eines ist schnörkeliger verziert als das andere, und ihre Grösse nimmt gigantische Ausmasse an. Mitten im Park dann mal wieder ein Ballonverkäufer oder ein paar Mädchen, die ihr Kamel zum Reiten anbieten. Zum Schlittenfahren hat es zuwenig Schnee, dafür werden Kutschen eingesetzt, welche die Besucher durch das Gelände chauffieren. Der grosse, goldene Brunnen ist jetzt im Winter nicht in Betrieb, aber deswegen nicht weniger eindrücklich. Wieder muss man die Stirn ein wenig runzeln ab soviel Prunk, der im krassen Gegensatz zur landesweiten Armut steht.

 

Ganz am Ende des langen Spaziergangs steht dann nocheinmal eine Rakete, in Gesellschaft von zwei ausgemusterten Aeroflot-Flugzeugen aus der Sowjetzeit. So langsam beginnen unsere Füsse zu schmerzen, sind wir doch diese Distanzen nicht gewohnt, und wir machen uns auf den Rückweg zu unserem Hotel, das wir kurz vor Einbruch der Dunkelheit erreichen. Den Abend nutzen wir, um noch ein paar Einkäufe zu machen, wie das auch die Einheimischen tun. Einen Supermarkt nach unserem Verständnis gibt es hier aber nicht. Man muss schon genau wissen, was man will, und es den Verkäuferinnen auch verständlich machen, denn es gibt keine Selbstbedienung. Eine gute Übung, um meine Russischkenntnisse zu erweitern.

So, den letzten Teil des Moskau Reiseberichts schreibe ich im Büro unseres Hotels. Über Moskau geht gerade die Sonne unter und wir haben wieder einen erlebnisreichen Tag hinter uns. Frühmorgens gaben wir unser Zimmer ab und stellten das ganze Bagage ebenfalls in das Büro, in dem ich jetzt sitze. Unser Ziel war es, um 11 Uhr beim Serebrjannyj Bor zu sein. Denn dort sollten sich gemäss unserem Reiseführer, wagemutige Eisschwimmer von einer Brücke in die Moskva stürzen und zwischen Treibeisschollen herumschwimmen. Dies ist einer der ältesten und extremsten Wintersportarten Moskaus. Allerdings hatten wir die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Treibeis ist gut, der ganze Fluss gefroren jedoch weniger! So fanden wir anstelle der Eisschwimmer die Eisfischer schon hier vor und müssten dafür eigentlich gar nicht erst nach Sibirien fahren.

 

Serebrjannyj Bor ist ein grosses Naturerholungsgebiet und heisst auf deutsch Silberwäldchen. Die Hinfahrt war auch schon ganz lustig. Zuerst mit der Metro etwa 30 minuten von unserem Hotel entfernt, dann mit einem Trolleybus, der bei uns wohl vor etwa 20 Jahren ausgemustert worden war. In jedem Trolleybus fährt eine Busbegleiterin mit, bei der man Tickets kaufen kann und die ein wenig ein Auge auf die Gäste wirft. So fuhren wir nochmals eine recht grosse Strecke bis zur Endstation und folgten dann einfach den Einheimischen, die mit Langlaufskiern, Schlitten und Skianzügen alle in eine Richtung strömten. Kein Wunder, gibt es hier so viele Wintersportprofis, denn bei diesen Distanzen hätten auch wir lieber zu Langlaufskieren gegriffen, anstatt kilometerweit über den dicken Schnee zu Fuss zurückzulegen.

 

Der gefrorene Fluss war schon ein Erlebnis. Etwas unheimlich knirschte das Eis unter unseren Füssen und wir waren immer darauf bedacht, den schon bestehenden Fussspuren zu folgen, um nicht plötzlich im Fluss zu landen. Die Eisfischer hatten überall kleinste Zelte aufgestellt, in denen sie vor einem etwas mehr als faustgrossen Loch sassen und versuchten, einen Fisch aus dem Eis herauszuziehen. Nicht alle hatten Zelte dabei, und oft konnten wir auch zuschauen, wie sie mit den riesigen Bohrern Löcher ins Eis bohrten oder mit viel Feingefühl an der Angelschnur rüttelten, um die Fische anzulocken. Aber die wollten heute wohl nicht, wenigstens nicht während dem wir da waren, und so spazierten wir weiter auf dem Fluss langsam wieder der Metrostation entgegen. Unterwegs begegneten wir eingefrorenen Schiffen und im Sommer schwimmenden Häusern, die jetzt im Eis feststecken.

 

Von Serebrjjannyj Bor fuhren wir direkt zum Gorki Park, ebenfalls einem beliebten Sonntagsausflugsziel der Moskauer. Obwohl ganze Heerscharen von grossen und kleinen Leuten auf Schlittschuhen durch den Park fuhr, war ich davon ziemlich enttäuscht, denn nur noch der neue, völlig kitschige amerikanisch-gestylte Teil war geöffnet. Neben lauter Musik aus den Schiessbuden und Restaurants begegnet man Disneyland auf Russisch, nicht gerade das, was wir erwartet hatten. Dafür war der Spaziergang der Moskva entlang Richtung Fussgängerbrücke umso idyllischer. Hier war der Fluss nicht zugefroren, nur vereinzelte Eisschollen trieben auf ihm herum, und von der verglasten Fussgängerbrücke aus hat man eine tolle Aussicht über die Skyline der Stadt.

 

Das Wetter klarte immer mehr auf, und nach einer kleinen Stärkung in einem Kaffee mitten in einer Wohnsiedlung fuhren wir mit der Metro hinauf zur Moskauer Universität. Sie ist in einem der Zuckerbäckerhochhäuser aus der Stalinzeit untergebracht und natürlich ist auch das Universitätsgelände wieder einmal riesengross. Wir hatten zum Ziel, zum Aussichtspunkt auf den Sperlingsbergen zu gelangen, doch dieser lang ein ganzes Stück entfernt und wir mussten noch mal eine halbe Stunde laufen. Der Zustand der Gehwege wäre bei uns wohl ein Verbrechen, teilweise sind sie total zugeeist und man muss aufpassen, nicht hinzufallen. Die grossen Schneemengen, die am Strassenrand liegen, werden von speziellen Maschinen auf LKW's verfrachtet und abtransportiert. Ein Lastwagen am anderen steht bereit, um den Schnee mitzunehmen. Kaum sind sie damit fertig, können sie wieder von neuem beginnen.

 

Dann erreichen wir endlich den Aussichtspunkt, der an diesem herrlichen Nachmittag stark frequentiert ist. Ganz Moskau kann man von hier überblicken, bis hin zum Neujungfrauenkloster und weiteren Kirchen, deren Zwiebeltürme aus dem Häusermeer hinausragen. Auf dem Gehsteig reiht sich ein Souvenirstand am anderen mit vielen hübschen Sachen, und auf der anderen Seite steht sogar eine Skisprungschanze und ein Sessellift. Mitten in Moskau kann man Skilaufen und dem Vergnügen gehen viele Familien heute nach.

 

Wir spazieren hinunter zur Metrostation und machen uns langsam auf den Weg zu unserem Hotel, denn heute nacht werden wir mit der Transsibirischen Eisenbahn nach Sibirien losfahren.